Reicher Lohn im Nervenspiel
von Gottfried Schalow
David Reich (links) bejubelt mit Robin Huth sein Freistoßtor zum 1:0-Endstand für den VfL. (FOTO: ANDREAS LÖFFLER)
Halle (Saale)/MZ. 15.20 Uhr am Sonntagnachmittag im Stadion am Zoo. Die völlig erschöpften, aber auch unendlich glücklichen Fußballer vom VfL 96 sitzen im Halbkreis vor ihren Fans und lassen sich feiern. Und das haben sie sich verdient. Mittendrin sitzt David Reich. Der hat mit einem sehenswerten Freistoß den 1:0-Erfolg gegen Germania Halberstadt perfekt gemacht und die fast sichere Eintrittskarte für die Oberliga-Saison 2011 / 12 gelöst. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jedenfalls. Denn der VfL ist vor dem letzten Spieltag Elfter in der Tabelle, alle fünf dahinter platzierten Teams müssten schon gewinnen, um die Hallenser noch in Verlegenheit zu bringen. Die letzten Restzweifel kann der VfL 96 zudem selbst beseitigen. Ein Unentschieden im Auswärtsspiel am Sonntag beim 1. FC Lok Leipzig würde auch rechnerisch alles klar machen.
Es war ein Nervenspiel gegen den Meister aus Halberstadt. Ein Spiel, in dem der VfL nichts geschenkt bekam. "Die haben hinten so gut gestanden und uns so wenig Platz gelassen. Ein Tor aus dem Spiel heraus war fast unmöglich", sagte VfL-Stürmer Georg Ströhl, der sich bei unangenehm schwül-warmen Temperaturen die Lunge aus dem Leib rannte, immer und immer gegen die dichte Halberstädter Abwehrwand anrannte. In der 67. Minute hätte sich Ströhl selbst belohnen können. Da war er nach Robin Huths Flanke völlig frei am Elfmeterpunkt, flog jedoch um ein paar Zentimeter am Ball vorbei. "Ein 0:0 wäre sicher in Ordnung gewesen. Und damit hätten wir auch leben können", gab hinterher auch David Reich zu. Aber er war es, der dafür sorgte, dass es am Ende sogar drei Punkte wurden.
In der 78. Minute gab es Freistoß für den VfL, unmittelbar an der Strafraumgrenze, genau in der Mitte. Und Reich, der wohl beste Fußballer im blau-roten VfL-Dress, bewies, dass er auch noch ein gutes Auge hat und zimmerte den Ball unhaltbar in den Winkel. "Es waren ja noch zwölf Minuten zu spielen. Wenn ich mit meinem Freistoß nicht getroffen hätte, dann hätte sich eben noch eine andere Chance ergeben", sagte der Freistoßkünstler. Abgebrüht ist er also auch noch. Der 24-Jährige hatte ein solches Nervenspiel bis zu diesem Tag auch noch nie erlebt. "Natürlich bin ich jetzt müde und kaputt. Aber im Spiel merkst du das eben nicht. Es ging ja schließlich um fast alles."
Reich hat mit seiner Freistoßkunst auch ein kleines Wunder beim VfL 96 so gut wie perfekt gemacht. Zum Jahreswechsel war die Mannschaft Tabellenletzter mit sechs Punkten Rückstand auf einen Nicht-Abstiegsplatz. Da schien nicht mehr viel zu gehen. Doch das war auch der Moment, in dem die Überlebenskämpfer geboren wurden. Reich: "Wir haben uns immer gesagt: So lange rechnerisch noch die Chance besteht, dass wir die Klasse halten, werden wir alles versuchen."
Fast märchenhafte 21 Punkte hat der VfL 96 in den 15 Spielen im Jahr 2011 geholt. Einen ganz wesentlichen Anteil daran hat auch Thomas Diedrich, der Fachmann für Taktik und Motivation. Doch der Trainer gab am Sonntag eher einen aus der Gilde der Stillen im Land. "Klar, ich freue mich, ich genieße. Aber ich muss das alles auch erstmal sacken lassen. Die Anspannung war in den letzten Wochen und Monaten schon enorm."
So drehte der Trainer einsam seine Runden um seine ausgelassen feiernden Spieler. Scheinbar weit weg mit seinen Gedanken. So lange jedenfalls, bis der pfiffige Stadionsprecher Andreas Jahnecke glückstrahlend mit einem Kasten Bier auf den Schultern daherkam. Die erste Feier für die Überlebenskämpfer war eröffnet. Spontan und improvisiert war das für den Augenblick. Aber: Wetten, dass es nicht bei diesem einen Kasten an diesem Sonntagnachmittag geblieben ist?
Quelle: http://www.mz-web.de
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