Frühlingserwachen am Zoo
Jubel aus vollem Herzen: VfL-Doppeltorschütze Stephan Neigenfink bildet mit den Armen ein Herz über seinem Kopf. (FOTO: ANDREAS LÖFFLER)
Halle (Saale)/MZ. Eigentlich war alles schon angefroren. 65 Minuten lang hatten die 107 Zuschauer im Stadion am Zoo mit ihren diesmal ganz in Rot spielenden Jungs im wahrsten Sinne des Wortes gezittert. Viele waren gerade auf dem Weg zum Getränkestand. Nachschub an wärmendem Glühwein oder Kaffee sollte her, um auch noch die letzte knappe halbe Stunde am Sonnabend bei den eisigen Nachmittagstemperaturen zu überstehen. In diesem Moment passierte es. Stephan Neigenfink traf nach vorangegangenem Lattenknaller von Benito Baez-Ayala zum ersten Mal.
Stadionsprecher Andreas Jahnecke wurde darüber zum Entertainer und leitete seine Anmoderation zu diesem Tor mit dem Spruch "Freunde der Sonne" ein. Kunststück, der Mann saß ja in seiner kuschelig warmen Sprecherkabine. Tatsächlich aber gab es danach so etwas wie ein Frühlingserwachen beim VfL 96.
Die 84. Minute: Dresdens Stefan Süß sieht knallrot für sein knochenhartes Einsteigen gegen David Reich. Kurz darauf trifft Neigenfink noch ein zweites Mal, mit einem sehenswerten Kopfball. Patrick Selle sorgt nach einem langen Alleingang für den 3:0-Endstand. Der VfL 96 hat in der Fußball-Oberliga seinen Befreiungsschlag geschafft, die geschlauchten Spieler drehen auf dem aufgewühlten Rasen eine Ehrenrunde. Der Klassenerhalt, an den vor diesem Spiel eigentlich nur noch ein paar unbelehrbare Optimisten glaubten, ist nun plötzlich wieder möglich.
Doppeltorschütze Neigenfink strahlte: "Dieses Spiel mussten wir unbedingt gewinnen. Gottseidank haben wir das noch hinbekommen." Und legte gleich nach: "Aber das allein hilft noch nicht viel weiter. Eigentlich müssen wir ja jedes Spiel gewinnen."
Der 20 Jahre alte Neigenfink hatte sich seine Erfolgserlebnisse redlich verdient. Eine Stunde lang hatte er gerackert und geackert, mal mit langen, mal mit kurzen Pässen versucht, Stürmer Vladimir Penev in Position zu bringen. Doch immer wieder war ein Dresdner Abwehrbein dazwischen und Penev hatte keine Chance, sich selbst zu krönen in seinem 100. Spiel für den VfL. Dafür musste dann Neigenfink selbst sorgen, zu einem Zeitpunkt, als kaum noch jemand damit rechnete: "Um ehrlich zu sein, wir alle waren da schon ziemlich platt. Dieser Platz kostete fast die letzten Körner." Das war auch eine Folge des langen Winters, in dem der VfL nur ein einziges Vorbereitungsspiel gegen Markranstädt auf Rasen machen konnte. Sonst wurde nur auf Kunstrasen gespielt und trainiert. "Und das ist etwas ganz anderes. Uns fehlt einfach auch ein ganzes Stück Spielpraxis", so die Erklärungsversuche von Neigenfink nach dem Schlusspfiff.
Baez-Ayala fehlte an diesem Nachmittag auch etwas, das Glück nämlich. In der 38. Minute hatte er die einzige nennenswerte Chance in der ersten Halbzeit, schoss jedoch völlig frei am Dresdner Tor vorbei. Fast eine Kopie dieser Aktion gab es in der 62. Minute. Wieder war Benito ganz allein vor Dresdens Tor, wieder vorbei. Kurz darauf dann der Lattentreffer. "Eigentlich hatte ich jedes Mal alles richtig gemacht. Immer fehlten nur Zentimeter", klagte der 21 Jahre alte gelernte Stürmer, der sich seine Bälle weitgehend selbst erobern musste, meist in der eigenen Hälfte. "Jetzt kann ich darüber ja schon wieder lachen. Aber es wäre nicht auszudenken gewesen, hätten wir noch verloren oder nur unentschieden gespielt. Nur, weil ich meine Chancen nicht reingemacht habe."
Benito Baez-Ayala blieb es erspart, darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn. Für den VfL 96 scheint erst einmal wieder die Sonne. Zumindest bis zum nächsten Spiel am Sonntag in Jena.
Quelle: http://www.mz-web.de
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