von Arik » So 19. Jun 2011, 22:18
Mein Wienbericht:
Wiener Sportklub - Ostbahn XI 6-1 (20.05.2011 im Wiener Sportclub-Platz)
Wenn man schon mal für ein verlängertes Wochenende nach Wien fährt, sieht man sich, wenn man die Möglichkeit hat, nicht nur ein Spiel an. So zog es uns am Freitag vor dem Derby in Wien zum Spiel des Wiener Sportklubs, der im Mittelfeld der österreichischen Regionalliga (=3.Liga) spielte. Der Gegner des Tages war die „Ostbahn XI“. Das Stadion, der älteste Sportplatz Österreichs, ist recht weit vom Stadtzentrum entfernt; es ist wirklich sehr nett und absolut Old-School. Die alte überdachte Hauptribüne wirkt etwas klobig und ist bei fast allen Spielen recht gut gefüllt. Auf der Gegengeraden befanden sich keine Zuschauer, sondern nur eine Mauer mit einzelnen Werbebannern („Fleischerei ,Metzger´“) und einige Bilder. Wir gingen auf die Friedhofstribüne, in der sich die aktivsten Fans einfanden.. Die meisten der Leute waren Punks, Alternative und Alt-Linke; man fühlte sich etwas wie bei der Hanf-Parade. Eigentlich ist es überflüssig zu erwähnen, dass sich „St.-Pauli“-Devotionalien bei den Anhängern des Sportklubs großer Beliebtheit erfreuten. Die meisten Leute kamen zum Spiel, um mit Bekannten zu reden und nebenher Fußball zu gucken. Organisierten Support gab es nicht; hin wieder wurde etwas geblökt oder gesungen; es ging dabei allerdings mehr darum, die Mannschaft anzufeuern als gegnerische Ultras zu beeindrucken, was ja nicht für viele Fans in anderen Stadien wichtiger zu sein scheint. Das Spiel selbst hatte etwas Slapstickhaftes: Der Sportklub gewann sicher mit 6:1, beide Teams spielten aber sehr schlecht und stolperten mal über die eigenen, mal über andere Beine. Es war durchaus dilettantisch, was sich auf dem Feld zutrug, aber auch ausgesprochen unterhaltsam. Auf den Rängen ging es locker und fair zu; der Mannschaft von Ostbahn XI wurde nach dem Spiel applaudiert, was nicht höhnisch gemeint war. So entspannend kann Fußball also auch sein. Der Wiener Sportklub ist ein idealer Ort, um ein paar Bier zu trinken, eine Wurst namens „Käsekrainer“ zu essen (ein Verkäufer auf die Frage, was ein Käsekrainer sei: „Na ein Krainer mit Käse“ - „Ah, besten Dank“) und um eine ausgesprochen entspannte Stadionatmosphäre zu genießen.
SK Rapid Wien - FK Austria Wien Abbruch bei 0:2 (22.05.2011 im Gerhard-Hanappi-Stadion)
Zweifelsohne gehört das Wiener Derby zu einem der besten Spiele im deutschsprachigen Raum. Zumindest was die Fanszenen und die Stadionatmosphäre anbelangt, brauchen sich weder die Austria noch Rapid vor anderen Kurven verstecken. Gerade nach Österreich schwappte Anfang/Mitte der 90er die Ultrá-Bewegung von Italien über; es entstanden viele Gruppen, denen der italienische Einfluss anzusehen war. Während es in Italien vielfältige Repressionen gegen die dortigen Ultraszenen gab und gibt, ist die staatliche Gewalt – selbstverständlich von vielen Ausnahmen abgesehen – in Österreich recht zurückhaltend gewesen. Unter diesen Vorzeichen konnte sich also eine zum Teil recht einflussreiche Fußballfanszene entwickeln, die über die Jahre hinweg gewachsen ist. Gerade bei den zwei großen Wiener Vereinen, die beide traditionell viele Anhänger haben, kam zur gern gepflegten Rivalität Ende Mai am vorletzten Spieltag der österreichischen Bundesliga die sportliche Konkurrenz hinzu. Zumindest die Austria machte sich zu diesem Zeitpunkt Hoffnung auf den Titel, während Rapid weit abgeschlagen im Mittelfeld festsaß.
Leider bekamen wir für das Spiel nur Karten für den Gästeblock und mussten daher mit den Austrianern das Derby besuchen. Gemeinsam mit knapp 2.000 Austriafans fanden wir uns am Wiener Opernplatz ein, um von dort aus in Richtung Stadion zu fahren. Am Treffpunkt waren wir allerdings sehr schockiert, was für ein Pack – und ich neige sonst nicht zu solch platten Pejorativen – zugegen war. Eklige Schlägertypen, Nazis, Suffköppe und andere Dumpfomaten schienen den Kern der Austria-Fanszene auszumachen. „Thor Steinar“-Kleidung und sehr viele, sehr unangenehm wirkende Leute mit „Slovan Bratislava“-T-Shirts, denen man sehr gut zutrauen konnte, bei den Angriffen während des Spiels von Slovan gegen den VfB Stuttgart im August 2010 mitgemischt zu haben. Kaum jemand vor Ort wirkte wirklich zivilisiert oder halbwegs sympathisch. Vergeblich suchten wir für uns eine Ecke, in der normalere Menschen standen, unter die wir uns hätten mischen können. Der Weg in die U-Bahn war dementsprechend bedrückend. Auf engstem Raum mit Leuten, die einen immer wieder musterten; in den Unterführungen gab es überall La Bombas und Rauch. Auf die erste, schwer überfüllte Sonderbahn verzichteten wir, in der zweiten Bahn im letzten Abteil war die Anreise etwas entspannter. Allerdings stieg auf dem Weg ein Rapidfan mit einem „Nationaler Widerstand Deutschland“-Shirt ein, der zwar nicht nach „Szene“ aussah, die ganze Situation aber dennoch grotesker machte. Das Gesamtpaket der bislang gesammelten Eindrücke brachte mir schließlich von meiner eigentlich nicht fußballaffinen Begleiterin vorwurfsvolle Blicke ein, weshalb ich sie sie zu so einem Spiel schleppte.
An der U-Bahn-Station in Stadionnähe warteten die Leute von der ersten Bahn, damit gemeinsam weitergegangen werden konnte. Da wir trotz unauffälliger Kleidung (ich trug ein nichtssagendes T-Shirt, meine Begleiterin ein Kleid) immer wieder gemustert wurden, sangen wir, um nicht noch weiter aufzufallen, die Austrialieder widerwillig mit. Ich weiß bislang auch nicht, ob das Misstrauen daher rührte, dass man uns für Rapidler, Polizisten, Presse, Hopper oder einfach nur für Fremde hielt; angenehm war es jedenfalls nicht. Aufgrund massiv eingesetzter Pyrotechnik war der Weg zum Stadion allerdings recht spannend. Überall brannten Büsche und Gräser an der Böschung zur S-Bahn. Der Mob ließ es sich auch nicht nehmen, auf miese Assiart irgendwelche Leute an den Fenstern zu beleidigen und anzupöbeln. Begleitet wurden wir von erstaunlich wenigen Polizisten, was etwas verwunderlich war, da die Gewaltfreude vieler Austrianer mehr als augenscheinlich war. Am Stadion angekommen dauerte es – nicht nur gefühlt – ewig, bis wir die Sicherheitsschleusen passieren konnten. Ganz so, als wäre es für die Ordnungskräfte eine große Überraschung, dass 2.500 Gästefans in das „Gerhard-Hanappi-Stadion“ kommen würden. Im Stadion selber suchten wir uns einen ruhigen Platz am Rand mit prima Blick auf das Spielfeld und auf den schon recht beeindruckenden „Block-West“ von Rapid. Unterhalb der Kurve wurde ein Banner gezeigt, das klar macht, worum es den Rapidlern an diesem Tag ging: „Auch ein Sieg kann die verschissenene Saison nicht retten. Zerstört heute wenigstens die Titelträume der Violetten!“. Zu meiner Enttäuschung gab es zum Einlaufen der Teams keine Pyrotechnik. Austria hatte eine Luftballonchoreo, Rapid zog eine ansprechende Blockfahne auf. Die Stimmung beider Teams war okay; allerdings hätte ich ein klein wenig mehr erwartet. Wenn der ganze Heimbereich gemeinsam etwas sang, wirkte es schon sehr gut. „Block-West“ und die Austrianer waren beide durchgehend am Singen, wobei viele Lieder oft nur vom Kern der jeweiligen Szenen getragen wurden. Recht zeitig fiel der Führungstreffer für Austria, der mit einigen wenigen Bengalos gefeiert wurde. Hierbei, sowie bei der Anreise intervenierten weder Polizei noch Ordner. Als in der 26. Spielminute schließlich das zweite Tor für Austria fiel, ging es sehr schnell. Gerade noch hatten sich einige Polizisten, die hinter uns standen, über das Tor gefreut, und schon stürzten sie in Richtung Spielfeld, bevor man die ersten Rapidler auf dem Rasen sehen konnte. Circa 200, nur zum geringen Teil Vermummte stürmten den Rasen und rannten auf den Austriablock zu. Die Polizei reagierte schnell und konnte den Mob davon abhalten, bis an den Gästebereich zu gelangen. Daraufhin wurde Leuchtspur in den Block geschossen, der einigen Austrianern Brandflecke eingebracht hatte. Einige Pyros wurden zurückgeschossen, aber Treffer konnte ich nicht sehen. Die Austrianer blieben sehr ruhig und machten keine Anstalten, ebenfalls den Platz zu stürmen. Schließlich trieb die Polizei den Mob dann wieder in Richtung „Block-West“. Großartig waren dann auch jene Austriafans, die zu den Rapidlern gestikulierten, dass sie rankommen sollten, als diese bereits von der Polizei vertrieben wurden. Vor dem Heimbereich gab es dann schließlich immer wieder Auseinandersetzungen mit der Polizei, die nun auch Pfefferspray einsetzte, um die Fans vom Rasen zu bekommen. Letztlich dauerte es 20 Minuten bis der Platz endgültig geräumt war. Die beiden Mannschaften und der Schiedsrichter wollten die Partie zwar fortsetzen, die Polizei konnte aber nicht mehr für die Sicherheit garantieren. Der daraufhin folgende Spielabbruch sorgte dann für großen Jubel bei den Austrianern. Unter Polizeibegleitung wurden man schließlich wieder zur U-Bahn geleitet. Unterwegs gab es wieder einige Bengalos; eine Familie an einem Fenster wurde schließlich noch von dem ganzen Mob angepöbelt – zumindest ist uns niemand aufgefallen, der der Meute sagte, dass es völlig lächerlich und total sinnlos ist, eine Familie so dumm anzumachen. Für uns war dies allerdings nachdem, was wir an dem Tag gesehen hatten, nicht überraschend. Als uns dann im Gedränge eine Gruppe Jugendlicher immer näher rückte und immer aggressiver abcheckte, beschlossen wir uns, baldmöglichst abzusetzen. Die Erleichterung war dann schließlich groß, als wir uns aus einem der ekligsten Mobs entfernt hatten, in dem ich jemals gewesen bin.
Am gleichen Abend gewann übrigens Fenerbahçe die türkische Meisterschaft. In Wien zogen etwa 120 Fans feiernd und singend durch die Stadt. Selbst die Fans des eigentlich unangenehmsten der drei großen Istanbuler Vereine wirkten gegen die am Tag gesehenen Fans wie die Speerspitze der Aufklärung.