17.05.2010 (Sportschau.de) - Misswirtschaft und große Träume

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17.05.2010 (Sportschau.de) - Misswirtschaft und große Träume

Beitragvon BengalOO » Di 18. Mai 2010, 00:43

Misswirtschaft und große Träume
Von Chaled Nahar

Wo liegen die drei östlichsten Standorte der Fußball-Bundesliga? Dass die Antwort auf diese Frage "Wolfsburg, Nürnberg und München" lautet, stimmt im Osten Deutschlands viele Menschen nachdenklich. Hertha BSC, Energie Cottbus, Union Berlin, Aufsteiger Erzgebirge Aue und vielleicht Relegationsteilnehmer Hansa Rostock - die Vereine aus der ehemaligen DDR und West-Berlin sind in der Saison 2010/11 nur noch in der zweiten Liga vertreten. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Fußballerische Wiedervereinigung: NOFV-Präsident Hans-Georg Moldenhauer (l.) und DFB-Präsident Hermann Neuberger; Rechte: dpa Fußballerische Wiedervereinigung 1990: NOFV-Präsident Hans-Georg Moldenhauer (l.) und DFB-Präsident Hermann Neuberger


Nach der politischen Wende kam die sportliche. Plötzlich besaß Deutschland 32 Erstligisten. Die DDR-Oberliga starb, in ihrer letzten Saison 1990/91 versuchten sich die Ostvereine für einen möglichst guten Platz im DFB-Spielbetrieb zu qualifizieren. In der Bundesliga, die vor der Wende eigentlich eine Verschlankung auf 16 Vereine angestrebt hatte, gab es für die DDR-Klubs im Zuge der fußballerischen Wiedervereinigung nur zwei Plätze, die sich Meister Hansa Rostock und Dynamo Dresden erspielten. Lediglich sechs Vereine durften 1991/92 in der zweiten Liga spielen. Hat überhaupt jemals Chancengleichheit zwischen den Vereinen aus Ost und West geherrscht?

Der Mann, der damals für den Osten die Verhandlungen mit dem DFB führte, ist Hans-Georg Moldenhauer. Er ist seit der Wiedervereinigung Präsident des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes und verteidigt die damalige Regelung noch heute vehement. "Hans Meyer und Eduard Geyer haben mich damals scharf kritisiert", erzählt der 68 Jahre alte Sportfunktionär. "Heute wirken ihre Begrüßungen fast schon entschuldigend, wenn ich ihnen begegne. Denn sie wissen mittlerweile auch, dass es der einzige praktikable Weg gewesen ist." Von den 14 Oberliga-Klubs des Jahres 1991 seien höchstens zehn konkurrenzfähig gewesen, sagt Moldenhauer: "Und davon haben wir acht im bezahlten Fußball untergebracht." Von denen ist heute allerdings kaum noch etwas zu sehen.

Idealismus als Markenzeichen
"Haben wir selbst gemacht!" Fans von Union Berlin mit Bauhelmen auf den Stehrängen der Alten Försterei

Die neuen starken Klubs im Osten heißen Energie Cottbus, Union Berlin und Erzgebirge Aue. Alle drei waren nicht dabei, als 1991 die Plätze in den beiden ersten Ligen des Westens verteilt wurden. Heute beweisen sie auf ihre spezielle Art, dass man aus wenig eine Menge machen kann. Bei Cottbus steht ein Fundament, bei dem ein Abstieg nicht mit dem Untergang verbunden ist. Aue band die Region im Erzgebirge gekonnt an den Verein. Und bei Union arbeiteten zahlreiche Fans für lau am Umbau des Stadions Alte Försterei mit. Nur bei wenigen Vereinen ist die Verbindung zu den Fans so groß wie bei Union. Sportdirektor Christian Beeck hat den Idealismus der Leute für den Verein genutzt: "Die Stadt hat sich halt nicht beteiligt. Was bleibt Dir übrig? Du machst es selbst."

Beeck sieht auch in der Geschichte ein Problem. Der Osten sei vom Kapitalismus überrollt worden. Die West-Vereine jagten den Oberliga-Klubs schnell die stärksten Spieler ab. Kirsten, Steinmann, Thom oder Sammer hielt es nicht lange im Osten. Die andere Seite der Autobahn befuhren windige Manager aus dem Westen. "Die westdeutschen Vereine hatten den Vorteil, dass sie sofort erkennen konnten, wer mit dem Verein ernsthaft etwas vor hat. Im Osten wusste doch 1993 noch keiner, was eine Steuererklärung ist." Den Traum vom schnellen Aufstieg sollten die Klubs im Osten schnell begraben. "Man muss hundert Prozent Arbeit abliefern und einfach nicht mehr ausgeben, als man hat. Und ich muss mir eine Lücke schaffen."

Das ist Beeck mit dem 1. FC Union genauso gelungen wie Geschäftsführer Günther Großmann mit Erzgebirge Aue. "Wir haben keine überregionalen Sponsoren gefunden, also haben wir es mit vielen kleinen Geldgebern aus der Region probiert", erzählt Großmann. Das Konzept ging auf, Aue schaffte die Rückkehr in die zweite Liga und verwirklichte sich mit viel Mühe seinen Traum. "Ein Problem ist, dass bei vielen Leuten im Fußball hier die Wünsche schnell weit über das hinaus gehen, was die Realität zulässt", sagt Großmann, "man muss eigene Wege gehen. Und diese Möglichkeit steht auch im Osten jedem Verein offen."

Misswirtschaft ruinierte manchen Verein

Vereine wie Union Berlin und Erzgebirge Aue sind jedoch zu Exklaven der beinahe exklusiv westdeutschen Veranstaltung Profifußball geworden. Der Osten verschwand seit 1991 nach und nach immer mehr aus den beiden oberen Ligen. Dresden verabschiedete sich 1995 aus der Bundesliga, nachdem der Verein dem hessischen Baulöwen Rolf-Jürgen Otto verfallen war. Am Ende von Ottos Zeit als Präsident bei Dynamo stieg der Verein aus der Bundesliga ab, ohne die Lizenz für die 2. Liga zu erhalten. Richtig erholt hat sich der Klub davon lange nicht, er gilt als Sinnbild für den Niedergang des Ost-Fußballs. Rostock stieg 1992 direkt ab, kehrte zwischen 1995 und 2005 für bemerkenswerte zehn Jahre zurück. Doch heute steht der FCH am Tor zur Drittklassigkeit. Der VfB Leipzig spielte 1993/94 für ein Jahr in der Bundesliga - 2004 wurde der Verein aufgelöst. Es sind nur einige wenige von vielen Schicksalen der Traditionsvereine aus dem Osten. Mit dem 1. FC Magdeburg darbt ein Europapokalsieger in der Viertklassigkeit.

Die Misswirtschaft können die Klubs nicht auf andere schieben, sagt Moldenhauer. "Ob Dresden oder Leipzig, das sind doch meist hausgemachte Probleme." Er ist nach 20 gemeinsamen Jahren in Deutschland kein Freund von ostdeutschen Formulierungen. "Mir kann keiner erzählen, dass Klubs wie Holstein Kiel andere Probleme hätten als unsere Vereine." 2009 stieg der letzte Ex-DDR-Klub Energie Cottbus aus der Bundesliga ab. Im Gegensatz zum Jahr 2005 initiierte der DFB jedoch keine Diskussionsrunde "Fußballgipfel Ost" mehr. Denn auch der DFB stößt an die Grenzen seines Einflusses. Die Vereine müssen sich selbst helfen, das ist die Nachricht der aktuellen Misere.

Nagelneue Stadien für Dritt- und Viertligisten
Die große Ausnahme: Ein ostdeutsches Bundesliga-Duell mit Olaf Marschall (Dynamo Dresden/l.) und John Doyle (VfB Leipzig) 1993.

Die Spirale nach unten ist für die Vereine im Osten nur schwer aufzuhalten. Es ist wenig Geld im Spiel, ein Bundesligist fehlt der Region und damit auch die Attraktivität für Sponsoren. Es gibt viele Beispiele aus dem Westen, bei denen Vereine sich von unten nach oben gearbeitet haben. Mal mit mehr Geld wie in Wolfsburg oder Hoffenheim, manchmal aber auch mit weniger Geld wie in Freiburg, St. Pauli oder Mainz. "Bei uns fehlen die großen Unternehmen", klagt Moldenhauer. "Konzerne wie VW in Wolfsburg kümmern sich halt lieber um ihr Umfeld." Ein ähnliches Projekt im Osten ist RasenBallsport Leipzig. Der Verein wird vom Getränkehersteller Red Bull gesponsert. Der von den Fans als Retortenklub verpönte Regionalliga-Aufsteiger ist eine Hoffnung im Osten. "Ich bin ja auch eher der Traditionalist", sagt Moldenhauer, "aber wenn das eine Chance für den Osten ist - wieso nicht?"

Gerade Leipzig als Standort bereitet Sorgen. Die Infrastruktur ist wie auch in Dresden, Rostock, Berlin oder Magdeburg das kleinste Problem, denn dort stehen nagelneue Stadien für die ansässigen Zweit-, Dritt- und Viertligisten bereit. "Eine Achse aus diesen Städten würde ich mir wünschen", sagt Moldenhauer und beginnt zu rechnen: "Mit zwei, drei Vereinen in der Bundesliga und fünf, sechs Klubs in der zweiten Liga. Das wäre der Idealfall." Nie war dieses Ziel weiter entfernt als im Sommer 2010.


Quelle: http://www.sportschau.de
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