Risikospiele in der Fußball-Oberliga
Kleine Stellvertreterkriege
Von Christian Kamp
08. November 2009
Thomas Hoßmang möchte endlich raus. Ein besonderer Abend soll es werden für ihn und Budissa Bautzen. Flutlichtspiel, der MDR hat sich angesagt, zum ersten Mal in dieser Saison. Doch statt großen Fußballs heißt es zunächst einmal: Warten. Der Bus der Gegner aus Auerbach steckt im Stau.
In der Trainerkabine sitzen Hoßmang, der Mitte der neunziger Jahre für Dynamo Dresden spielte, und sein Bruder Stefan, der Ko-Trainer, Thomas nennt ihn nur „Langer“. Der Chef ist ungeduldig. Sein Team ist die Überraschung der Saison, das einzige, das den Tabellenführer und Millionenklub RasenBallsport Leipzig bezwungen hat. „Da steckt einer jede Menge Kohle rein, und alle haben die Hosen voll.“ Er will mehr: ganz oben angreifen.
Liga voller Leben und Leidenschaft
Es geht schon auf 20 Uhr zu, als der Auerbacher Bus endlich auf die Laufbahn rollt. Anpfiff gegen halb neun - beinahe Champions-League-Verhältnisse in der Oberlausitz. Etwas Besonderes ist diese Oberliga ja schon. Keine Königsklasse und auch nicht wirklich die „kleine Bundesliga des Ostens“, wie Budissa-Präsident Jörg Drews sie nennt.
Aber eine Liga voller Leben und Leidenschaft - auch wenn das angesichts der bitteren Rivalitäten und verworrenen Konfliktlinien manchmal mehr Fluch als Segen ist. „Diese Liga hat schon ihre Highlights“, sagt Dieter Rieck, der Sicherheitsbeauftragte des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes (NOFV). Positiv ist das nicht gemeint: Mehr als ein Viertel der Begegnungen stuft der NOFV als Risikospiele ein.
Teebeutel als Wurfgeschoss
Für diesen Freitagabend gilt das nicht. Zwar steigen mit der Wartezeit auch Alkohol- und Lautstärke-Pegel am Bierstand. Und weil Auerbach später zwei Mal eine Bautzener Führung ausgleicht und der schwache Schiedsrichter den tobenden Trainer Hoßmang auf die Tribüne schickt, wächst der Frust unter den 544 Zuschauern. Doch um seine Gesundheit fürchten muss hier keiner.
Budissa ist ein Klub der Normalität inmitten der illustren Runde aus gefallenen DDR-Größen, Reserveteams der Traditionsklubs und der kommerziellen Leipziger Moderne. Ein Klub, der „aus wenig viel macht“, wie Trainer Hoßmang sagt, wirtschaftlich aber an Grenzen stößt. Weil er schon zu DDR-Zeiten als BSG Motor Bautzen eher die Fußball-Diaspora verkörperte, muss er heute zumindest keiner vergangenen Bedeutung aggressiv nachtrauern.
Ein Teebeutel ist alles, was an diesem Abend von der Tribüne in Richtung Spielfeld fliegt. Schlechte Kunde kommt aus dem 160 Kilometer entfernten Zwickau. Dort, so berichtet der Mann vom MDR, habe es beim Spiel gegen Erzgebirge Aue II Randale gegeben. 36 Verletzte und 54 Festnahmen lautet später die Bilanz.
„Man weiß nie, wo es passiert“
Schon seit längerem gelten die zweiten Mannschaften der früheren DDR-Oberligaklubs als Sicherheitsrisiko. Wenn in den höheren Ligen die Vorkehrungen immer besser werden, so die Annahme, verlagere sich (potentielle) Fangewalt eben nach unten. Neben Aue spielen die Reserveteams von Dynamo Dresden, Rot-Weiß Erfurt sowie des FC Carl Zeiss Jena in der aktuellen Oberliga. Viele Gelegenheiten für kleine Stellvertreterkriege unter den Anhängern der einst so großen Klubs. Die Gewalt, sagt eine Fotografin, die viel in dieser Liga unterwegs ist, sei unberechenbar. „Man weiß nie, wo es passiert.“
Es steht das Thüringen-Derby auf dem Spielplan: Jena gegen Erfurt, zwei Klubs, deren Fans sich seit Jahrzehnten in besonderer Feindschaft verbunden sind - auch wenn niemand so genau weiß, warum, wie Lutz Hofmann vom Jenaer Fanprojekt sagt. In der sonnigen Idylle am Fuße der Kernberge ist von all dem vor dem Anpfiff wenig zu spüren. „Nichts los hier heute“, sagt ein Mann, der nicht in der Hoffnung auf Randale, sondern auf reichlich Pfandgut gekommen ist.
Risikospiel vor 326 Zuschauern
Weil, wie in solchen Fällen üblich, die ersten Mannschaften in der 3. Liga zeitgleich antreten, lockt das „kleine“ Landesderby gerade einmal 326 Zuschauer an, keine vierzig aus Erfurt. Dass die Partie trotzdem als Risikospiel gilt, verärgert die Jenaer Fanszene. Hofmann beklagt „Sicherheitswahn“ und sagt, dass er es nicht gut finde, „wenn so viel Polizei und Ordnungsdienst“ da sei. Was heißt „so viel“? Die Zahl der Ordner ist verdoppelt worden: auf 29. Doch bei der Weitläufigkeit des Ernst-Abbe-Sportfeldes - das Spiel findet auf einem Nebenplatz des Stadions statt - wirkt auch das nicht maßlos. Draußen ist nur hin und wieder ein Polizeiwagen zu sehen, der in aller Zurückhaltung patrouilliert.
Als der Ball rollt, wird schnell klar, dass die Lage nicht ganz so harmlos ist. Es sind zwar in beiden (strikt getrennten) Fanlagern nur einige wenige, für die aber scheint Fußball tatsächlich vor allem ein Spiel der Provokationen und des Hasses zu sein. „Hau ihn tot!“, ist bei einem Zweikampf zu hören. Für die Erfurter Spieler wird es besonders an der Seitenlinie ungemütlich: Dort stehen die Jenaer Fans nur einen guten Meter vom Spielfeld entfernt. Üble Beleidigungen und ein paar Bierspritzer muss man da vertragen können. Die Absperrung, wie man sie von Dorfplätzen kennt, ist kein größeres Hindernis. Nach dem Erfurter Führungstor scheint ein Jenaer Fan auf den Platz stürmen zu wollen, die Ordner haben ihn aber schnell im Griff.
Das Ziel: der Sprung in den Profifußball
2:1 gewinnt Jena am Ende noch, ernste Zwischenfälle gibt es nicht. Aber auch wenn diesmal nichts passiert: Dass eine unbedachte Aktion, von welcher Seite auch immer, die Hemmungen vor physischer Aggression nehmen könnte, ist hier leicht vorstellbar. Für die Spieler, allesamt junge Talente um die zwanzig Jahre, muss es eine befremdliche Atmosphäre sein. Für sie geht es nicht um ritualisierte Rivalitäten, sondern darum, den Sprung in den Profifußball zu schaffen.
Ihr Verhalten an diesem Tag zumindest ist schon professionell. Keine Geste der Provokation, wie kürzlich im skandalträchtigen Zweitliga-Spiel des FC St. Pauli in Rostock. Im Gegenteil. Es sind eher Gesten der Solidarisierung gegen den Unfug von außen. „Weiter geht's“, ruft der Jenaer Torwart einem Erfurter zu, der wüst beschimpft wird. Ein anderer sagt später über die Beleidigungen: „Das geht direkt zum anderen Ohr wieder raus.“ Ein ungutes Gefühl habe er nicht auf dem Platz. „Wir sind ja gut abgesichert.“
RB Leipzig: Eine ganze Riege früherer Profis
Denkbar unerfreulich war die Saison losgegangen. Gleich am ersten Spieltag hatten einige Jenaer Fans mit Worten und Taten deutlich gemacht, was sie vom Neuling RB Leipzig halten. Pöbeleien, Becherwürfe und eine Blockade des Leipziger Mannschaftsbusses waren die Begleiterscheinungen einer Premiere, die jedem noch einmal vor Augen führte, dass mit RB ein frisches Feindbild in der Oberliga angekommen ist.
Wie ein Raumschiff aus einer anderen Welt ist der Klub in diesem Fußballkosmos gelandet. Mit den Millionen des österreichischen Getränkeherstellers Red Bull, mit einer ganzen Riege früherer Profis, angeführt vom einstigen Nationalspieler Ingo Hertzsch, mit dem Anspruch, es schnellstmöglich von der fünften Liga in die Bundesliga zu schaffen. Und das in einem Umfeld, das als das schwierigste überhaupt im deutschen Fußball gilt: in Leipzig, der gespaltenen Fußballstadt, in der die Fans von Lokomotive und des FC Sachsen bis aufs Blut verfeindet sind.
Hundertschaften und Wasserwerfer
Andreas Sadlo, der Präsident von RB, ist ein ruhiger Mann, der ohne große Töne und Manager-Attitüden auskommt. Am Eingang zum VIP-Raum wird der 41 Jahre alte Österreicher von den Hostessen nicht einmal erkannt: „Sadlo? Wie buchstabiert man das?“ Doch auch wenn es noch ein bisschen zu fremdeln scheint beim großen Zukunftsprojekt - Sadlos Zwischenbilanz fällt „sehr positiv“ aus, wie er sagt. Das Team hat sich an der Tabellenspitze festgesetzt - wenngleich nicht mit dem erhofften Klassefußball, und abseits des Platzes ist es weitgehend ruhig geblieben, nachdem der NOFV alle Partien mit RB-Beteiligung zu Risikospielen erklärt hat. Das erste Derby gegen den 1. FC Lok, gesichert von Polizei-Hundertschaften und Wasserwerfern, überstanden Stadt und Fans ohne Schaden.
Mehr als 11.000 Zuschauer kamen gegen Lok ins Zentralstadion. Dort, in die WM-Arena von 2006, will Sadlo mit RB dauerhaft hin. Die Gegenwart fällt noch ein paar Nummern kleiner aus. Schmuck ist es ja, das „Stadion am Bad“ des SSV Markranstädt, dessen Startrecht RB für die Oberliga übernommen hat. Aber ein Ambiente, das von Laubbäumen und Planschbecken geprägt ist anstatt von steilen Tribünen und strahlendem Flutlicht, kann auf Dauer nicht der Anspruch sein.
„Wenn wir wollen, kaufen wir euch auf“
Immerhin 1560 Zuschauer kommen zum Spiel gegen den VfL Halle 96. Die zwei jungen Damen in der schmalen Holzhütte, die sich „Bullshop“ nennt, haben gut zu tun, ihre Fanartikel über den Tresen zu reichen. Auffallend viele Familien mit Kindern sind dabei, selbst im Leipziger Block, der mit ein paar Fahnen und etlichen Schals schon recht farbenfroh und stimmungsvoll wirkt. „Leipzig ist rot-weiß“, steht auf einem der Transparente am Gitterzaun.
Noch wirkt das wie ein Scherz. Aber mit dem Erfolg, so die Kalkulation von Sadlo, steigt auch die Beliebtheit. 2:0 gewinnt RB, 66 Schals und 13 Trikots sind bis zum Ende des Tages verkauft. Es scheint kein schlechter Weg, auf dem sich RB befindet, das nächste Spiel gegen Pößneck wird 3:0 gewonnen. Ob es weiterhin auch ein friedlicher bleibt? Das ist schon schwerer zu sagen. Die Fans des VfL Halle gehören zu den angenehmeren in der Region, ihre Waffe ist die Ironie. Sie singen: „Wenn wir wollen, kaufen wir euch auf.“
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: F.A.Z. - Christian Kamp
Quelle: http://www.faz.net
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